Smart City – Eine kybernetische Verheißung

In den folgenden Zeilen geht es um die Smart City – und damit ist eigentlich schon alles gesagt. Eine genaue Definition gibt es nicht. Denn sobald sich mensch aufmacht, zu verstehen, was sich hinter dem Schlagwort Smart City verbirgt, betritt er ein Himmelszelt voll mit Myriaden Licht emittierender Dioden. Und jedes einzelne Lämpchen ist eine funkelnde Idee, das zur technischen Lösung der vielen in einer Stadt auftretenden Herausforderungen und Probleme beitragen soll.

Insofern ist die Idee der Smart City weniger ein konkretes Projekt als vielmehr ein Sammelsurium an Geschichten darüber, was technisch möglich sein könnte. Und diese Geschichten spielen bei der Frage, was tatsächlich praktisch umgesetzt wird, eine entscheidende Rolle. Sie bilden ein Narrativ des Möglichen und regen den Erfinder*innen-Geist an.

Das Science-Fiction-Märchen zu Anfang dieser Broschüre (S. 5) ist ein Beispiel dafür. Viele der beschriebenen Technologien gibt es schon oder werden gerade zur Marktreife gebracht. Die folgenden Zeilen widmen sich deshalb nicht der Smart City als solcher, sondern der Frage, welche Funktion die Vorstellung von ihr erfüllt, die sich z.B. auch in Märchen wie dem einleitenden niederschlägt. In welcher Welt würden wir heute leben, hätte z.B. Jules Verne keine Geschichten geschrieben?

Das Märchen von der berechenbaren Welt

Davon zu erzählen, wie die Stadt von morgen aussehen könnte, ist aber nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen steht, welches Welt- und Menschenbild den Geschichten zugrunde liegt.

Bei dem Märchen wird schnell auffallen, dass es sich dabei um eine durchtechnisierte Stadt in einer durchtechnisierten Welt handelt. Das Leben der Menschen ist in dieser Geschichte durch technische Entwicklungen reglementiert und gesteuert.

Dies gibt schon viel Aufschluss über die ideologischen Grundlagen unserer Geschichte: Mensch und Technik sind anscheinend eine symbiotische Beziehung eingegangen. Technische Innovationen und menschliches Wohlbefinden gehen Hand in Hand. In der Konsequenz bedeutet das, dass die technologischen Errungenschaften zur anscheinend natürlichen Umgebung des Menschen geworden sind.

Ermöglicht wurde das – im Märchen wie in der realen Welt – vor allem dadurch, dass das Neuland digitaler Technologien betreten wurde. Maßgeblich dafür war die Erfindung von universellen Rechenmaschinen, die die Grundlage dafür legten, dass die wahrnehmbare Welt in Datenpakete bestehend aus Nullen und Einsen zerlegt wurde und algorithmisch gesteuert Muster darin erkannt werden konnten. Bis heute funktionieren Computer mit Hilfe von Programmen, die sich nicht wesentlich von Anleitungen zum Kuchenbacken unterscheiden. Sie folgen einem Rezept, bis am Ende ein fertiger Kuchen aus dem Ofen kommt. Der Unterschied ist, dass Computer nicht mit Mehl und Eiern arbeiten, sondern auf Grundlage mathematischer Formeln.

Und diese Formeln haben in unserer Geschichte Einzug gehalten bis in die letzten Winkel des Alltags. Auch Vorstellungen von der Stadt der Zukunft werden nach diesem Muster gestrickt und unter dem Schlagwort Smart City zusammengefasst. Voraussetzung dafür war, dass aus einzelnen Computern ein weltumspannendes Netz vernetzter Computer entstanden ist – das Internet. Dieses ermöglicht das zentralisierte Sammeln, Speichern und Auswerten von einer unglaublich großen Menge an Daten in sogenannten Rechenzentren. Dass möglichst viele Informationen an einem einzigen Ort zusammenlaufen ermöglicht es erst, dass selbst unsere Abendgestaltung über unsere datafizierten Vorlieben berechnet werden kann. Wie sonst wären Vorschläge für unsere nächste Streaming-Serie denkbar?

Und die Welt werde kybernetisch

In der realen Welt waren neben der Entwicklung von Computern viele weitere neue Sichtweisen vor allem auf dem Gebiet der Mathematik maßgeblich dafür, dass Geschichten wie die unsere heute erzählt werden können. Neben Claude Shannons Informationstheorie [1,2] hat sicherlich Norbert Wieners Idee einer Wissenschaft von der Kommunikation und Steuerung von Maschinen und Lebewesen eine entscheidende Rolle gespielt [3].

Angeregt und in etwa zeitgleich mit der Entwicklung der ersten Computer, behauptete Wiener eine Analogie zwischen lebenden Organismen und Maschinen. Dabei stellte er aber bezeichnenderweise nicht menschliches Fühlen und Denken in den Vordergrund, sondern konzentrierte sich auf – messbares – Handeln sowohl menschlicherseits als auch von Maschinen und stellte sich die Frage, wie dieses Handeln gesteuert wird oder werden könnte. Daher kommt auch der Name dieser Wissenschaft: Kybernetik. Ein Kunstwort, für das sich Wiener vom griechischen Wort für Steuermann inspirieren ließ.

Was damit gemeint ist, wird an folgendem Beispiel verdeutlicht: Wenn ein Mensch friert, wird er etwas dagegen unternehmen. Er zieht sich einen Pulli an, kuschelt sich in eine Decke oder macht Feuer. Die empfundene Kälte lässt ihn handeln, diese Empfindung zu beseitigen. Auf ähnliche Weise funktioniert ein Thermostat. Er misst ständig die Temperatur eines Raumes, vergleicht sie mit der ihm vorgegebenen Solltemperatur und schaltet sich an, wenn es im Raum zu kalt wird. Auf den ersten Blick haben die beiden Beispiele sicherlich nicht viel miteinander zu tun. Aber nicht so in Wieners kybernetischem Blick. Dieser konzentriert sich darauf, was getan wird, um die Kälte zu besiegen. Die Analogie besteht darin, dass sowohl Mensch als auch Thermostat aktiv werden, also handeln. Und das aufgrund dessen, dass sie feststellen, dass es kalt ist. Diese Information erhalten beide aus ihrer Umwelt, die sie mit Hilfe von Sensoren überwachen. Ob das nun die Haut ist oder ein Thermometer, ist in dieser Weltsicht gleichgültig. Entscheidend ist, dass durch die Rückkopplung mit der Umwelt Handlungen entstehen. Ob diesen Handlungen bewusstes Nachdenken vorausgeht oder ob dabei nur ein vorgegebenes Programm abgespult wird, ist unwesentlich. Es zählt das Ergebnis.

Folgt mensch Wieners Ansatz, ist es durchaus legitim zu behaupten, dass Menschen und Maschinen sich ähnlich sind. Und dieser Ansatz hat sich auch zu einer florierenden Wissenschaft entwickelt, die bis in die 1970er Jahre vor allem im Bereich der Computerwissenschaften und Informatik dominant war und in der aktuellen akademischen Debatte gerade wieder einen Boom zu erleben scheint.

Dass dem so ist, liegt wahrscheinlich daran, dass sogenannte künstliche Intelligenz – ein Schlagwort, das auch immer wieder auftaucht, wenn von Smart Cities gesprochen wird – derzeit in aller Munde ist. Das verwundert nicht, denn die Vorstellung eines Computers, der denken und handeln kann wie ein Mensch, ist eine zutiefst kybernetische. Denn sie basiert auf der behaupteten Analogie von menschlichem Denken und den algorithmischen Prozessen in Computern.

Und zeigt letztendlich auch die eigentliche Wirkmächtigkeit der Kybernetik. Ihre Ideen spinnen sich bis heute fort. Dabei ist der entscheidende Punkt nicht, ob die von ihr getroffenen Annahmen haltbar sind oder nicht. Viel entscheidender ist die Vorstellung, die sie vermittelt, die Geschichte, die sie erzählt: Wenn Computer denken können wie Menschen, dann lass uns Dinge erfinden, die zumindest so erscheinen, als wäre es so. Darin liegt auch die mythische, quasi-religiöse Kraft der Kybernetik. Die Verheißung, die sie verspricht, ist das paradiesische Leben in einer technologischen, zweiten Natur, indem dem Menschen durch Technik Entscheidungen und Handeln abgenommen werden. Inwiefern wir dabei auch unsere ureigene Möglichkeit zur freien Entscheidung aufgeben, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Kybernetik kennt keine ethischen Fragen.

Die Smart City als kybernetisches Projekt

Genau dies sollte auch im aktuellen Smart City-Diskurs im Hinterkopf behalten werden. Zum einen transportiert dieser Diskurs Ideen, die sich genauso aus dem Fundus des kybernetischen Welt- und Menschenbildes speisen wie der aktuelle KI-Diskurs.

Was ist die Vorstellung einer Stadt, die in Echtzeit auf Grundlage eines durch eine umfassende Sensorik gewonnenen Datenstroms automatisch verwaltet, sprich gesteuert, wird, anderes als das Bild einer kybernetischen Stadt? Wenn die in einer Stadt ablaufenden Prozesse weitestgehend auf mathematischer Grundlage automatisiert werden, dann steckt hinter diesen Ideen die Vorstellung einer Stadt im kybernetischen Sinne.

Und diese ist rein funktional bestimmt. Das bedeutet, der Fokus liegt darauf, zu garantieren, dass die Stadt als solche funktioniert. Und das auf allen Ebenen. Von der Verwaltung über den Verkehr bis hin zum Alltag eine*r jeden einzelnen Stadtbewohner*in wie in unserer Geschichte vom Anfang.

Was eine Smart City bieten kann, sind technische Lösungen zur Regulierung der in einer Stadt ablaufenden Prozesse. Was eine Smart City nicht kann, ist, die Entscheidung darüber abzunehmen, ob eine nach kybernetischem Muster optimierte Stadt eine lebenswerte ist.

Ein Beitrag des Arbeitsschwerpunkts Digitalisierung

 

Referenzen

  1. C. E. Shannon, „A mathematical theory of communication“, The Bell System Technical Journal, 1948, 27/3, pp. 379-423. https://doi.org/10.1002/j.1538-7305.1948.tb01338.x
  2. C. E. Shannon, „A mathematical theory of communication“, The Bell System Technical Journal, 1948, 27/4, pp. 623-656. https://doi.org/10.1002/j.1538-7305.1948.tb00917.x
  3. N. Wiener, „Cybernetics or Control and communication in the animal and the machine“, Hermann und Cie, Eds. Cambridge, MA, USA: Technology Press, 1948.
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