Mit Smart City lässt sich das Klima nicht retten

Die Klimakrise ruft zum Handeln auf. Im westlichen Mainstream ist angekommen, dass die globale Erwärmung stattfindet und die Existenz der menschlichen Gesellschaft, wie sie heute existiert, bedroht ist. Außerhalb rechter und konservativer Strömungen ist bis weit in das bürgerliche Lager anerkannt, dass der Klimawandel menschgemacht ist. Im unauflösbaren Widerspruch streben wirtschaftsstarke Nationen nach der Reduzierung von CO2-Ausstoß und gleichzeitig nach Steigerung des Wirtschaftswachstums.

Städte sind Brenngläser wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse. Hier arbeiten und leben Menschen in immer größer werdender Zahl. Kein Wunder also, dass auch Städte gegen die globale Erwärmung handeln wollen und sollen.

Wirtschaftliche und ökologische Bewegungen verändern Städte ständig. Bereits vor, aber insbesondere seit der Industrialisierung sind Städte Orte, an denen Wirtschaftswachstum und globale Erwärmung entstehen. Soll der Klimawandel aufgehalten werden, so müssen sich auch Städte grundlegend verändern. Immerhin leben hier die meisten Menschen und es werden jenseits des Internets die intensivsten und engsten Wirtschaftsleistungen organisiert und produziert. [1]

Die digitale Stadt

Moderne Städte sind kapitalistische Städte. Sie bieten Infrastruktur für Wirtschaftsunternehmen und sorgen dafür, dass Arbeitskräfte möglichst problemlos zur Arbeit kommen, arbeiten und sich gut versorgen können. Gleichzeitig ist die städtische Infrastruktur meist in großen Teilen privatisiert und damit selber Ziel für die Verwertung als Ware. Inzwischen wird ein bedeutender Teil der Wirtschaftsgewinne unter Anwendung digitaler Technik erzielt – sei es mit Daten in Computern, Angeboten im Internet oder modernen Kommunikationsangeboten [2,3]. Hierfür wird eine digitale Infrastruktur benötigt: Schnelles Internet, digitale Marktplätze, einfacher Zugang für Verkäufer*innen und Käufer*innen/Nutzer*innen, stabile Stromversorgung, große Datenspeicher usw. Kurz die Stadt wird digitalisiert.

Die digitalisierte Stadt bietet vor allem Möglichkeiten für einen vermeintlich effizienten Informationsaustausch und für die Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung von Daten. Dank des vorherrschenden Privateigentums ist diese digitale Infrastruktur in kapitalistischen Staaten üblicherweise in privater Hand. Und üblicherweise wird sie dazu verwendet, Gewinn zu erwirtschaften.

Die ökologische Smart City

Unternehmen sammeln alle Daten, die sie bekommen können, um sie zu verwerten: Identität, Konsumverhalten, Freundeskreise, Kommunikationsverhalten, politische Interessen, Freizeittätigkeiten … Staaten und ihre Institutionen werden ebenfalls an diesen Daten interessiert sein. Wenn eine Überwachung von Teilen der Stadt eingerichtet ist, dann werden die gewonnenen Daten auch dazu genutzt, Abläufe in der Stadt zu steuern, seien es wirtschaftliche oder andere. Hier setzen „smarte“ ökologische oder „greene“ Lösungen als Smart City an: Per smarter App das Verhalten der Nutzer*innen im Sinne „der Nachhaltigkeit“ optimieren [4,5,6], smart ein Fahrrad oder E-Scooter im „mobility Hub“ abstellen oder mieten [7,8,9], mit dem autonom fahrenden Auto smart in die Kneipe fahren [10,11], eine Photovoltaikanlage auf das Dach bauen und smart an das Stromnetz anschließen [12], Gebäude smart heizen und beleuchten, wenn sie benutzt werden [13,14], Müllcontainer smart leeren, wenn sie voll sind [15,16,17], smarte Technikartikel bei Amazon an die smarte Packstation liefern lassen [18,19,20] … und manchmal wird auch das Pflanzen von Bäumen als smart verstanden, die dann wieder per App von Bewohner*innen smart gegossen werden sollen [21].

Das „smarte“ an der Stadt ist oft schwammig, aber wenn es konkret wird in den allermeisten Fällen mit digitaler Technik verbunden. Die technische Infrastruktur, die für eine Smart City notwendig ist, benötigt eine riesige Menge an Ressourcen. Nicht nur der Stromverbrauch für die Sensor- und Kommunikationsinfrastruktur, auch die Verarbeitung und Speicherung von großen Datenmengen verbraucht viel Energie [22]. Neben dem Betrieb ist auch die Herstellung, Erneuerung und Entsorgung der digitalen Technik mit einem hohen Ressourcenverbrauch verbunden [23]. Ökologische Ansätze innerhalb der Smart City basieren auf dieser umwelt- und klimaschädlichen Infrastruktur.

Dabei benötigen effektive ökologische Ansätze überhaupt keine Smart City. Beispielsweise ist für den Einsatz erneuerbarer Energien nur eine sehr beschränkte Ermittlung vom Verbrauch und Einspeisung elektrischer Leistung nötig. Fahrradstraßen und Fahrradständer zur Stärkung des autofreien Individualverkehrs sind vollständig analog. Die optimierte Beheizung von Gebäuden durch Regeltechnik mit Thermostaten und Gebäudesensoren braucht weder Funk noch Internet. Diese und andere Lösungen benötigen keine „smarte“ Digitaltechnologie. Sie benötigen keine großen Datenmengen und deren Verarbeitung (BigData). Sie kommen mit deutlich einfacherer Technik und wenig Daten aus.

Gefahren von ökologischen Smart Cities

Die ökologischen Versprechen der Smart Cities täuschen oft nur vermeintlich sinnvolle Maßnahmen vor („Greenwashing“). Zudem stellen sie durch die damit verbundene Datenerfassung eine ernste Bedrohung der Informationellen Selbstbestimmung dar, also das Recht selbst zu bestimmen, wer was über einen selbst weiß. Wenn alle Kommunikations- und Sensordaten als BigData zur Verfügung stehen, können aus Daten für die Integration erneuerbarer Energieanlagen detaillierte Verbraucher*innen-Profile berechnet werden. Aus den Daten für das Anmieten von Fahrrädern können personalisierte, hoch genaue Bewegungsprofile erstellt werden. Mit den Daten für die optimierte Beheizung von Gebäuden können Bewegungs- und Tätigkeitsprofile der Arbeiter*innen bzw. Bewohner*innen im Gebäude erfasst werden. Mit den inzwischen in der BRD gesetzlich vorgeschriebenen „Smart Metern“ [24] wird zusätzlich Heizverhalten in Echtzeit digital übermittelt. Dies sind nur sehr wenige, eindrucksvolle Beispiele aus den nahezu unendlichen Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten verbunden mit BigData in der Smart City [25].

Oft ist mit Smart City-Projekten eine „Bürgerbeteiligung“ – auch als online-Format – verbunden [26], die keineswegs umfassend ist. Eine Infragestellung des entsprechenden Projekts ist stets ausgeschlossen. Allerdings finden sich hier Anknüpfungspunkte für engagierte Stadtbewohner*innen, die sich ökologisch einbringen möchten. Die „Bürgerbeteiligung“ wirkt befriedend auf Konflikte, nicht nur im Bereich der Ökologie, sondern beispielsweise auch auf Gentrifizierungskritik. Es kann ein eng gesteckter Rahmen für die Umsetzung ökologisch mehr oder weniger sinnvoller Ideen geboten werden. So können diese Ideen auch politisch gelenkt werden. Auf diesem Weg kann die Auseinandersetzung mit der umweltzerstörenden Wirtschaftsweise des Kapitalismus leicht ausgeblendet werden. Gleichzeitig nützt das resultierende Greenwashing dem konkreten Projekt und dessen Akzeptanz.

Fazit

Die Smart City als Projekt der digitalen Vernetzung, Überwachung und Regelung kann nicht ökologisch sein. In ihr finden ökologisch vernünftige Ansätze Platz ohne die ökologischen Nachteile der Smart City kompensieren zu können. Sie können vielmehr zum Greenwashing und zur Überwachung genutzt werden. Über die oberflächliche, oft nur digitale Teilhabe an Smart City- Projekten, sind diese geeignet, die Klimabewegung vor Ort in wenig aussichtsreichem Engagement zu binden.

Die Smart City ist eine stark technologieorientierte Idee. Dies macht sie untauglich der Klimakrise ernsthaft entgegen zu treten. Der globalen Erwärmung lässt sich nicht allein mit technologischen Mitteln beikommen, vor allem bedarf es eines gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels. Mit einer Politik des ständigen Wirtschaftswachstums und Konsums, wie im Kapitalismus, ist das Klima für die Menschen nicht zu retten, egal wie „smart“ sie sich verkauft.

Ein Beitrag des Arbeitsschwerpunkts Digitalisierung

 

Referenzen

  1. P. Moriarty und D. Honnery, „Are Energy Reductions Compatible with Economic Growth?“, Sustainability, 2023, 15, pp. 8043. https://doi.org/10.3390/su15108043
  2. E. Brynjolfsson und L. M. Hitt, „Beyond Computation: Information Technology, Organizational Transformation and Business“, Performance Journal of Economic Perspectives, 2000, 14, pp. 23-48. https://doi.org/10.1257/jep.14.4.23
  3. E. Brynjolfsson und A. Saunders, „IT’s Contributions to Productivity and Economic Growth“ in Wired for Innovation: How Information Technology Is Reshaping the Economy, 2010, kap. 3, pp. 41-59. Cambridge, MA, USA: MIT Press. http://www.jstor.org/stable/j.ctt5hhgrf
  4. M. Weiss, T. Staake, F. Mattern und E. Fleisch, „PowerPedia: changing energy usage with the help of a community-based smartphone application“, Personal and Ubiquitous Computing, 2011, 16, pp. 655-664, https://doi.org/10.1007/s00779-011-0432-y
  5. A. Ek, C. Alexandrou, C. D. Nyström, A. Direito, U. Eriksson, U. Hammar, P. Henriksson, R. Maddison, Y. T. Lagerros und M. Löf „The Smart City Active Mobile Phone Intervention (SCAMPI) study to promote physical activity through active transportation in healthy adults: a study protocol for a randomised controlled trial“, BMC Public Health, 2018, 18, pp._880, https://doi.org/10.1186/s12889-018-5658-4
  6. F. Cellina, D. Bucher, F. Mangili, J. V. Simão, R. Rudel und M. Raubal, „A Large Scale, App-Based Behaviour Change Experiment Persuading Sustainable Mobility Patterns: Methods, Results and Lessons Learnt“, Sustainability, 2019, 11, pp. 2674, https://dx.doi.org/10.3390/su11092674
  7. UITP, Brüssel, BE, „Mobility hubs: Steering the shift towards integrated sustainable mobility“, Politik Brief, 2023, online: https://www.uitp.org/publications/mobility-hubs-steering-the-shift-towards-integrated-sustainable-mobility/, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  8. DB Station&Service AG, Berlin, „Smart City Portfolio“, Website, 2023, online: https://smartcity.db.de, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  9. A. Roukouni, I. A. Junyent, M. M. Casanovas und G. H. de Almeida Correia, „An Analysis of the Emerging “Shared Mobility Hub” Concept in European Cities: Definition and a Proposed Typology“, Sustainability, 2023, 15, pp. 5222, https://doi.org/10.3390/su15065222
  10. L. Lindqwister, „San Franciscans Are Having Sex in Robotaxis, and Nobody Is Talking About It“, The San Francisco Standard, Aug. 2023, https://sfstandard.com/2023/08/11/san-francisco-robotaxi-cruise-debauchery/
  11. S. Krempl, „Smart City: Futuristische Roboter-Autos im Frankfurter Stadion“, heise online, Sep. 2022, https://www.heise.de/-7261418
  12. S. Enkhardt, „Panasonic unveils first smart city in Berlin“, pv magazine, Jul. 2020, https://www.pv-magazine.com/2020/07/03/panasonic-unveils-first-smart-city-in-berlin/
  13. Intel Corporation, Santa Clara, CA, USA „Smart Buildings: Forming The Foundation Of Smart Cities“, Forbes Insights, Okt. 2018, https://www.forbes.com/sites/insights-inteliot/2018/10/24/smart-buildings-forming-the-foundation-of-smart-cities/
  14. J. Dutta und S. Roy, „IoT-fog-cloud based architecture for smart city: Prototype of a smart building“, 2017 7th International Conference on Cloud Computing, Data Science & Engineering – Confluence, Noida, IN, https://doi.org/10.1109/CONFLUENCE.2017.7943156
  15. Evreka Yazılım Donanım Danışmanlık Eğitim San. ve Tic. A.Ş., Ankara, TR, „Waste Management for Smart Cities“, online: https://evreka.co/blog/waste-management-for-smart-cities/, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  16. Stadt Ulm, „Fünf „Solar-Presshaie“ gehen in Betrieb“, Pressemitteilung, Jul. 2020, https://www.ulm.de/aktuelle-meldungen/z%C3%B6a/juli-2020/aufstellung-von-5-solar-presshaien
  17. Ü. Günes, „Smart Waste: Nichts für die Tonne!“, Deutsche Telekom IoT GmbH, Bonn, 2020, online: https://iot.telekom.com/de/blog/smart-waste-nichts-fuer-die-tonne, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  18. Amazon.com, Inc., Seattle, WA, USA, „www.amazon.com/locker“, Website, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  19. DHL Paket GmbH, Bonn, „How the app-controlled Packstation works“, online: https://www.dhl.de/en/privatkunden/pakete-empfangen/an-einem-abholort-empfangen/packstation/packstation-kompakt.html, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  20. MYFLEXBOX Germany GmbH, München, „Klimafreundliche Smart City-Infrastruktur – Gemeinsam für die Städte von morgen“, online: https://www.myflexbox.com, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  21. Technologiestiftung Berlin, „www.giessdenkiez.de“, Website, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  22. V. Rozite, E. Bertoli, und B. Reidenbach, „Data Centres and Data Transmission Networks“, Jul. 2023, IEA, Paris, online: https://www.iea.org/energy-system/buildings/data-centres-and-data-transmission-networks, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  23. IEA, Digitalisation and Energy, IEA, Paris, 2017, https://www.iea.org/reports/digitalisation-and-energy
  24. „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW)“, Gesetz der BRD, Mai 2023
  25. Wikipedia Community, „Surveillance issues in smart cities“, Wikimedia Foundation, San Francisco, CA, USA, 2023, online: https://en.wikipedia.org/wiki/Surveillance_issues_in_smart_cities, zuletzt abgerufen am 03.11.2023
  26. BBSR, Bonn, Die Weisheit der Vielen – Bürgerbeteiligung im digitalen Zeitalter, 2017, ISBN 978-3-87994-191-9, https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2017/smart-cities-buergerbeteiligung.html
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