Profiteur*innen der Smarten Stadt

Die politischen Akteur*innen der Smart City sind in erster Linie die öffentliche Verwaltung, insbesondere die Kommunen. Zur Umsetzung entsprechender Konzepte der Digitalisierung – der umfassenden Erhebung von Daten und deren zentrale Verarbeitung – sind sie jedoch auf Unternehmen angewiesen, die entsprechende Vorhaben realisieren. Dabei kommt es zu einer gegenseitigen Durchdringung von Dienstleister*innen (als Profiteur*innen) und der sog. Öffentlichen Hand (als Geld- und Auftraggeberin). Aus Sicht der Unternehmen lassen sich diese Durchdringung und die damit entstandenen Abhängigkeiten als reiner Selbstzweck der Digitalisierung verstehen – ganz unabhängig von vermeintlichem Nutzen oder Schaden für die Menschen, die sich in den Städten bewegen und in ihnen leben.

Dazu zunächst zwei Beispiele auf der gesamtstaatlichen Ebene:

(1) 2019 wurde bekannt, dass die Aufnahmen von Bodycams der Bundespolizei auf Servern des Unternehmens Amazon gespeichert werden. Daran gab es Kritik, da Amazon nicht nur in Sachen Datenschutz für überaus fragwürdige Praxen bekannt ist. Amazon sei jedoch „der einzige Anbieter in Deutschland, der eine entsprechend … zertifizierte Cloud bereitstelle“, es stehe auch „keine staatliche Infrastruktur zur Verfügung …, die die Anforderungen erfülle“. [1] Das Argument, dass damit US-Geheimdienste Zugriff auf entsprechende Daten erhalten könnten, konterte der „IT-Experte Sven Herpig“ im Interview mit dem Deutschlandfunk mit einem bemerkenswerten Argument: „Also wenn sich die NSA für die Daten interessiert, dann sag ich mal so, dann kommen sie sowieso an die Daten ran meistens“. [2]

(2) Seit Beginn des Jahrtausends wird die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben, als deren Voraussetzung der Aufbau einer „Telematikinfrastruktur“ gilt, für deren Planung eigens die Gematik GmbH gegründet wurde, an der neben dem Bundesgesundheitsministerium die Verbände der Ärzt*innen, Krankenhäuser und Krankenversicherungen beteiligt sind. Bei der Umsetzung ist sie jedoch auf eine überschaubare Zahl an Unternehmen angewiesen. Ziel war es, „Qualität und die Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung [zu] verbessern“, 2019 jedoch kritisierte der Bundesrechnungshof, dass die elektronische Gesundheitskarte als Kernstück der Digitalisierung bislang „keinen konkreten Mehrwert für Leistungserbringer und Versicherte“ erbracht habe. [3] Stattdessen wurde viel Geld ausgegeben. Bis 2018 wurden Praxen und Krankenkassen verpflichtet, entsprechende Schnittstellen einzurichten, Apotheken und Krankenkassen ab 2020 bzw. 2021. Sie alle mussten entsprechend zertifizierte Konnektoren (spezielle, zertifizierte Internet-Router) und Kartenterminals anschaffen und Dienstleistungsverträge abschließen, wobei die Zertifizierung zu einem sehr überschaubaren Kreis, zwischenzeitlich gar zu einem Monopol an Anbieter*innen führte. Die z.B. in Arztpraxen anfallenden Kosten (ca. 9.000 Euro pro Jahr und Praxis) werden grundsätzlich von den Krankenkassen erstattet. Als „zertifizierte und zugelassene Vertrauensdiensteanbieter“, „die eine Gebühr für Produktion, Wartung und IT-Support erheben“, konnten sich vier Unternehmen positionieren, darunter Unternehmen wie T-Systems und der eng mit Siemens verbundene französische Dienstleister Atos, an denen kaum ein größeres staatliches Digitalisierungsprojekt vorbeizukommen scheint. Einen Überblick über weitere Profiteure liefert etwa die Auflistung der Mitglieder des Bundesverbands Gesundheits-IT e.V., der als Hauptaufgabe die „Interessenvertretung und die Einbindung bzw. die Einflussnahme der IT-Anbieter in der Gesundheitswirtschaft“ verfolgt. [4]

Unter diesen finden sich etwa internationale Größen wie 3M, Amazon Web Services, Dell und Philips oder eigens gegründete Tochtergesellschaften deutscher Branchengrößen wie „Siemens Healthineers“ oder „Telekom Healthcare Solutions“. Ebenfalls vertreten sind die drei damals zertifizierten Hersteller von Konnektoren (Secunet, Rise und Compunet Medical), welche um 2022/23 Mehrkosten von geschätzten 72 Mio. Euro verursachten. Einer der Anbieter habe sich unkooperativ gezeigt und eine Laufzeitverlängerung per Software-Update verhindert, woraufhin ca. 130.000 Konnektoren unbrauchbar wurden und ausgetauscht werden mussten. [5]

Öffentliche Gelder und private Profite

Die Beispiele auf gesamtstaatlicher Ebene verdeutlichen, dass bereits hier der (neoliberale) Staat nicht im Stande ist, eigene Infrastrukturen aufzubauen und auch da, wo er es versucht, in großer Abhängigkeit von den profitorientierten Hersteller*innen und Dienstleister*innen bleibt, die über Interessensverbände Einfluss auf die Gesetzgebung und Ausgestaltung nehmen. Dasselbe gilt z.B. bei der Digitalisierung des Bildungswesens auf Länderebene und bei der Smart City auf kommunaler Ebene. Bereits der Bundesstaat ist nur begrenzt fähig, eigene Rechenzentren und Infrastrukturen, Zertifikatsmanagements etc. aufzubauen und zu betreiben. Unter dem Schlagwort „digitale Souveränität“ wird zwar aktuell (vermeintlich) versucht, ausländische Anbieter*innen aus dem Markt zu drängen, auch hierbei wird allerdings getreu dem neoliberalen Paradigma (mit umfangreichen öffentlichen Subventionen) auf private Betreiber*innen gesetzt. Entsprechende Anbieter*innen und Beratungsunternehmen haben sich u.a. unter dem Schlagwort „GovTech“ längst entsprechend positioniert und investieren entsprechend – vielfach in sog. Startups, die wiederum umfangreich staatlich subventioniert werden, im Erfolgsfall aber Profite für private Kapitalgeber*innen erzeugen. Eines der aktuell aussichtsreichsten solcher Startups ist z.B. das Unternehmen Aleph Alpha aus Heidelberg, das auch am GovTech-Campus Berlin (e.V.) organisiert ist und angeblich das erste private deutsche Rechenzentrum nur für Regierungsaufgaben betreibt, das angeblich mit seiner „Kombination aus ‚Made in Europe‘ KI-Software und souveräner KI-Hardware … eine ganzheitliche KI-Wertschöpfungskette“ abbilde. [6] Obgleich das Unternehmen gerne mit digitaler Souveränität wirbt wenn es um politische Unterstützung geht, betont es bei diesen Gelegenheiten meist zugleich das Interesse internationaler, v.a. US-amerikanischer Investor*innen – und nutzt im genannten Rechenzentrum Grafikkarten von Nvidia, das gemeinsam mit SAP und Intel mittlerweile in das Unternehmen eingestiegen ist.

Es ist aktuell nicht absehbar, dass mit dem neoliberalen Paradigma gebrochen und in nennenswertem Umfang öffentlich betriebene Rechenzentren und Infrastrukturen aufgebaut werden. Es ist dennoch festzuhalten, dass auch in diesem Fall beträchtliche Summen, die eigentlich für Gesundheit, Bildung, etc. vorgesehen sind, in ein Heer an Informatiker*innen fließen würden. Das heißt auch, dass zur Aufrechterhaltung dieser Bereiche künftig neben (oder statt) Lehrer*innen und Pflegekräften diese IT-Kräfte auch ausgebildet werden müssen. Außerdem basiert die benötigte Hardware auch im Falle kommunaler Eigenverantwortung auf Extraktivismus, seltenen Rohstoffen und giftigen Materialien und dem entsprechenden Energiebedarf.

So gibt es durchaus viele und lobenswerte Ansätze, die v.a. auf kommunaler Ebene versuchen, zumindest für Teilbereiche wie das Schulwesen, die Abfallentsorgung, „Bürger*innenbeteiligung“ etc. eigene Rechenzentren und tw. sogar eigene Software aufzustellen und zu erhalten. In der Praxis erweist sich das jedoch als schwierig: die dauernde Notwendigkeit zur Modernisierung von (tw. schlecht dokumentierter) Hard- und Software zwingt sie, diese Aufgaben wiederum auszulagern; die Zertifizierung gerade auch im Hinblick auf Datenschutz-Standards stellt eine in diesem Maßstab kaum zu bewältigende Herausforderung dar und führt auch hier zur Einbindung der bekannten großen Player oder eigens hierauf spezialisierter Unternehmen. Auch in diesen Fällen werden also öffentliche Gelder zu privaten Profiten. Selbst das nach wie vor fortschrittliche Konzept des „Open Source“ ist hier keine Wunderwaffe. Die entsprechende Szene hat sich und wurde in den vergangenen Jahren – auch durch die winkenden Profite – sehr weitgehend kommerzialisiert. Nutzbare Software wird auch in diesem Bereich mittlerweile ganz überwiegend von (jungen) Unternehmen weiterentwickelt – u.a. in der Hoffnung, die nicht eben unkomplizierte Software anschließend im Auftrag der öffentlichen Hand weiterzuentwickeln und zu betreiben.

Kommunikationsplattformen und gegenseitige Durchdringung

Nutznießer*innen der Digitalisierung und der Smart City sind auf verschiedensten Ebenen Unternehmen, die auf eine spezielle Kundschaft ausgerichtet sind und entsprechende Strukturen aufgebaut haben. Die sog. „Consumer Electronics“ und ihre Produkte für den Massenmarkt sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein wichtiges und zentrales Standbein von Firmen wie Siemens, AEG, Telefunken etc. immer auch die Ausstattung von Behörden und Militär war. Auch deshalb hatte die staatliche Politik ein Interesse an deren Bestand und Positionierung auf dem Weltmarkt und subventionierte bzw. unterstützte sie auf vielfältigen Wegen. Entsprechend haben diese Unternehmen eine lange Geschichte der politischen Vernetzung und des (gemeinsamen) Lobbyings, sowie einer gewissen Durchdringung der politischen und administrativen Strukturen, z.B. durch Public-Private-Partnerships. Auf gesamtstaatlicher Ebene ähneln sie damit der Rüstungsindustrie, die ebenfalls auf den Staat ausgerichtet und von dessen Unterstützung – bei der Forschung, Erprobung, Umgang mit Gefahrstoffen, Exportgenehmigungen etc. – angewiesen ist.

Lange bevor vom sog. Plattformkapitalismus die Rede war, etablierten sich analoge Plattformen, die den Austausch zwischen öffentlicher Verwaltung und privatwirtschaftlichen Dienstleister*innen organisierten. Seit 1984 etwa veröffentlicht der Verlag ProPress den „Behörden Spiegel“, eine Monatszeitung, die seit langem vier Schwerpunkte kennt: „Öffentlicher Dienst“, „Kommunen“, „Verwaltungsmodernisierung“ und „Sicherheit & Verteidigung“. Oberflächlich bietet sie leitenden Angestellten des öffentlichen Dienstes aktuelle Nachrichten über neue Trends, bevorstehende Gesetzgebungs- und Regulierungsprozesse sowie neue Produkte bzw. Angebote entsprechender Dienstleister*innen. Sie erscheint „piefig“, sachlich und konservativ, verfolgt dabei aber eine Agenda, von der v.a. die Privatwirtschaft profitiert. Erkennbar wird dies etwa anhand der zahlreichen Konferenzen und Kongresse, welche der Verlag in den letzten zwei Dekaden beworben und ausgerichtet hat. Dabei ging es einerseits – unter Titeln wie „Berliner Sicherheitskonferenz“ und „Europäischer Polizeikongress“ – sichtbar darum, (insbesondere nach 9/11) im Sinne der „Homeland Security“ der Rüstungsindustrie neue Absatzmärkte (und Diskurse) bei zivilen Behörden der Inneren Sicherheit, der Polizei, dem Grenz- und Katastrophenschutz, der kommunalen Verwaltungen etc. zu erschließen. Andererseits propagierten deren Kongresse „Digitaler Staat“, „Digitale Verwaltung“ und „PITS (Public-IT-Security)“ eine Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung; auch die Zeitung selbst erkannte und promotete früh die vermeintliche Alternativlosigkeit und die Heilsversprechen der Digitalisierung wie auch deren Voraussetzungen und nahezu unbegrenzten Profitmöglichkeiten unter dem Begriff der „Cyber-Security“.

Der „Behörden Spiegel“ ist dabei bei weitem nicht die einzige „analoge“ Plattform. Er eignet sich jedoch als Beispiel, weil er früh die klassischen Methoden der Vernetzung und Durchdringung, wie sie auf staatlicher Ebene v.a. Rüstung und (große) Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnik betroffen hat, mit der ebenso klassischen Vernetzung und Durchdringung auf kommunaler Ebene verbunden hat. Ein weiteres Beispiel ist die Wegweiser Media & Conferences GmbH mit ihren Veranstaltungen unter dem Titel „Zunkunftskongress Staat & Verwaltung“ und „Kongress Wehrhafte Demokratie“.

Jetzt kommt die Feuerwehr

Die Feuerwehr ist ein schwieriges und sensibles Thema. Unzählbar viele Menschen wurden durch die Feuerwehr gerettet. Es gibt allerdings zwei völlig unterschiedliche Arten von Feuerwehr: Die eine ist präventiv und regulativ und – zugegebenerweise – auch ein bisschen repressiv: Sie betrifft den Städtebau, die Normierung von Feuerstellen und Gasbehältern, technische Standards und lästige Verpflichtungen (von der Bereitstellung von Wassereimern und Leitern in der Antike zu zertifizierten Rauchmeldern und Feuerlöschern in der Gegenwart). Die andere ist reaktiv: Sie betrifft das, was den meisten Menschen als „Feuerwehr“ erscheint: Fahrzeuge mit Tanks, Blaulicht, Pumpen, Schläuchen und dem entsprechend geschulten, uniformierten Personal. Beides ist vermutlich nötig (vielleicht nicht die Uniformierung), aber zumindest die Geschichte der reaktiven Feuerwehr ist fragwürdig und v.a. aufschlussreich für die Smart City.

Es handelte sich bei den Hersteller*innen von Löschfahrzeugen um eine der ersten „Industrien“, die explizit und ausschließlich auf Kommunen als Kundschaft ausgerichtet waren. Rebecca Knapp beschreibt in einem Beitrag von 2010 historisch die Herausbildung dieser Industrie und ihrer spezifischen Kommunikation mit den Behörden vor und während der so genannten „Aufklärung“. [7] Zunächst waren es einzelne Erfinder und tw. Scharlatane, welche ihre Entwicklungen in persönlichen Briefen an die Verantwortlichen in größeren Städten anpriesen. Später wurden in den neu entstandenen Zeitschriften (Periodika) entsprechende Innovationen angepriesen und zwar nicht nur den jeweiligen (oft selbsternannten) Zuständigen, sondern auch einer breiteren (bürgerlichen) Öffentlichkeit. Damit einher ging eine Entwicklung, dass günstigere und weniger leistungsfähige Modelle für kleine Städte entwickelt und angeboten wurden. Zwischen den Anbieter*innen, der sich herausbildenden öffentlichen Hand und einer interessierten Teilöffentlichkeit bildete sich eine zirkuläre Kommunikation, eine Art Filterblase, in der alle Beteiligten von vermeintlichen Notwendigkeiten überzeugt waren und für eine Erhöhung entsprechender Budgets trommelten. Zuletzt wurde 2011 bekannt, dass sich die fünf führenden Anbieter*innen von Löschfahrzeugen in Deutschland zu einem Kartell zusammengeschlossen haben. [8] Jenseits einer justitiablen Kartellbildung im engeren Sinne liegt allerdings zumindest eine informelle Kartellbildung quasi in der Natur der Sache eines überschaubaren Kreises von Anbieter*innen, die sich auf Kommunen als Kundinnen ausgerichtet haben.

Die Nutznießenden

Ähnliches vollzieht sich seit einigen Jahren unter dem Schlagwort der Digitalisierung. Wer sind nun aber die Unternehmen, die in den entsprechenden Echokammern kommunizieren und von der Digitalisierung profitieren?

  • Das sind einerseits die großen „Steuerprüfungsgesellschaften“ (Deloitte, EY, KPMG und PwC) sowie Beratungs- und Investment-Unternehmen wie McKinsey, Roland Berger und Capgemini. Sie erstellen Studien und betreiben Lobbying bei der Politik und unterstützen die Administration (gegen Bezahlung) bei der Formulierung und Umsetzung ihrer Smart City-Strategien. Zugleich investieren sie in entsprechende Anbieter*innen.
  • Mit von der Partie sind auch die großen internationalen und nationalen Technologie- und Plattformunternehmen wie Amazon, Google, Microsoft, IBM, Nvidia, NEC, Siemens, AEG, SAP und Bosch. Erstere wissen u.a., dass die enormen Datenmengen, welche die Smarte City produziert, die Nachfrage nach den Rechen- und Speicherkapazitäten aus ihren Rechenzentren erhöhen wird. Die deutschen Technologieunternehmen wissen ebenfalls, dass an ihrer Hardware kaum ein Weg vorbeiführt. Bosch etwa ist in den vergangenen Jahren v.a. auch ein führender Entwickler und Anbieter für Sensorik geworden, im Kontext von Smart Mobility und Industrie 4.0 entwickelt sich der Automobil-Zulieferer zunehmend und gezielt zu einem Plattform-Unternehmen.
  • Neben den genannten Technologie-Unternehmen (die allesamt zumindest peripher auch in der Rüstung tätig sind) sind auch große Rüstungsunternehmen beteiligt. Das erklärt sich einerseits aus ihren bereits lange institutionalisierten Verbindungen in die Politik, ihrer Erfahrung mit der Umsetzung von Großprojekten und den überlappenden Technologiefeldern der Rüstung und der „Smarten Stadt“: Sensorik, Mensch-Maschine-Schnittstellen, Augmented Reality, Künstliche Intelligenz und (sichere) Kommunikation. Letztere ist bereits historisch eng mit der Luft- und Raumfahrt verbunden, was sich mit der zunehmenden Nutzung des Weltraums als Informationsdrehscheibe weiter intensiviert. Das französische Rüstungsunternehmen Thales etwa baut bereits länger Komponenten für Satelliten, Funkgeräte für Militärfahrzeuge und Helme für Pilot*innen von Kampfflugzeugen und ist zugleich auf dem zivilen Markt ein führender Anbieter bei mobilen und digitalen Zahlungssystemen. Es gehört zu je etwa einem Viertel dem französischen Staat und dem französischen Rüstungskonzern Dassault Aviation. Dessen ziviles Schwesterunternehmen, Dassault Systèmes, bemüht sich im Bereich der Smart Cities um eine führende Position als Anbieter so genannter Virtual Twins: Die durchleuchtete und digitalisierte Stadt soll dabei vermeintlich vollständig in Rechenzentren abgebildet werden, womit sich u.a. die Auswirkungen baulicher Maßnahmen, Großveranstaltungen, Naturkatastrophen und sogar Kriegsszenarien modellieren und simulieren lassen.
  • Eine große Rolle in der Digitalisierung der Verwaltung spielt der französische Konzern Atos (mit seiner jüngsten Ausgliederung Eviden), der mit massiver politischer Unterstützung in den vergangenen Jahren Hersteller*innen von Hard- und Software sowie digitale Dienstleister*innen eingekauft hat. Atos agiert dabei als strategischer Partner der Siemens AG, die auch Anteile an Atos hält. Atos arbeitet als Beratungsunternehmen, Systemintegrator und betreibt selbst Rechenzentren für Universitäten und Kommunen. Es wird als – freilich kleineres – europäisches Pendant zu Amazon Web Services gehandelt und gefördert, nicht zuletzt durch Rüstungsaufträge. So verwaltet Atos die Clouddienstleistungen der Bundeswehr und stellt sog. Battle Management Systems für die französischen und deutschen Streitkräfte zur Verfügung.
  • Für die Umsetzung technischer Möglichkeiten in kommerzielle Produkte auf den Massenmärkten der Smarten Stadt und deren (hippe) Vermarktung sind oft Startups zuständig. Hier wird häufig auf Gründungen aus der näheren Umgebung oder aus der Stadt selbst zurückgegriffen. Damit wird ermöglicht, der Digitalisierung ein regionales und irgendwie „nachhaltiges“ Image zu geben und sie zugleich als Wirtschaftsförderung zu begreifen. Startups sind allerdings v.a. für die experimentelle Frühphase der Markteinführung nützlich, in der sie durch Investitionen von Risikokapitalgeber*innen und öffentlicher Förderung gar keine Gewinne erwirtschaften müssen. Das ist freilich eine gute Voraussetzung, um neue Anwendungen schmackhaft zu machen. Die meisten Startups scheitern, die anderen wählen früher oder später meist den „Exit“, den millionenschweren Verkauf an einen der anderen großen Player.
  • Spätestens mit den Startups kommen auch Risikokapitalgeber*innen und (andere) Glücksritter*innen ins Spiel. Über Stiftungen oder als Investor*innen stellen sie Gelder für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung, knüpfen diese aber häufig an Bedingungen v.a. an die kommunalen Verwaltungen, teilweise auch an weitere Akteur*innen wie Universitäten oder Stadtwerke. Diese Bedingungen sind dann oft regulatorischer oder finanzieller Art oder bestehen in der Verfügbarkeit von Flächen, die dann privatisiert und/oder für bestimmte Zwecke verwendet werden. Diese „Visionäre“ sind oft erfolgreiche Geschäftsleute, welche mit Millionenbeträgen durchsetzen, dass Städte zu sog. „Reallaboren“ für neue Technologien werden. Oft sind sie weiter mit den Unternehmen verbunden (z.B. SAP, Capgemini), welche sie reich gemacht haben und halten Anteile an weiteren Unternehmen und Startups, welche mit Smart-City-Dienstleistungen weitere Profite zu erwirtschaften hoffen. Neben tatsächlich erfolgreichen Geschäftsleuten gibt es jedoch auch eine große Zahl von Menschen, die in Wirklichkeit kaum etwas einzubringen haben, außer den jeweiligen Buzzwords, vermeintliche Kontakte und Netzwerke und ein selbstsicheres Auftreten. Insgesamt sind in dieser Gruppe auffällig viele Menschen mit (echten oder falschen) Adelstiteln anzutreffen. Die Simulation von Erfolg ist unter den Schlagwörtern der Digitalisierung und insbesondere der Künstlichen Intelligenz nicht anrüchig, sondern mehr oder weniger allgemein anerkanntes Geschäftsmodell.
  • Ebenfalls beteiligt wird eine (simulierte) Zivilgesellschaft. Freilich gibt es in größeren und kleineren Städten auch Communities von Tech-Enthusiast*innen, die sich mit guten Absichten in kommunale Digitalisierungsprojekte einbringen (wollen). Häufig propagieren sie lokale Lösungen, Datenschutz, Open Source, öffentlichen Zugang und Mitsprache sowie nachhaltigere Lösungen. Sie werden oft in der Frühphase eingebunden, wenn es v.a. noch darum geht, die Öffentlichkeit von den Vorteilen der Smarten Stadt zu überzeugen. Wenn es jedoch profitabel zu werden verspricht und Projekte in größerem Maßstab umgesetzt werden, werden sie meist wieder marginalisiert. Ähnliches gilt für lokale, bürgerliche Klimagruppen oder Gremien wie Jugendgemeinderäte. Es gibt z.B. mehrfach Beispiele, in denen Smart-City- und andere Digitalisierungsprojekte von entsprechenden Graffiti-Wettbewerben etc. begleitet wurden. Ein wesentlicher Teil der zivilgesellschaftlichen Einbindung erfolgt jedoch über runde Tische, eigens hierfür gegründete Vereine und gemeinnützige GmbHs, die letztlich von Menschen dominiert sind, die entweder (auch) zu den anderen genannten Akteur*innen zählen oder schlicht professionelle Digitalisierungs-Vermarkter*innen geworden sind. Hierbei sollte klargestellt werden: Bei der partiellen Einbindung einer in Teilen simulierten Zivilgesellschaft und deren partiellen späteren Marginalisierung handelt es sich (nicht primär) um eine perfide Strategie der Kommunen. Viele sind daran interessiert, lokale und auch nicht-kommerzielle Akteur*innen einzubinden und zu stärken. Deren tatsächliche Möglichkeiten sind jedoch aufgrund der hier dargestellten Macht-Asymmetrien äußerst begrenzt – zumal sie sich nicht nur in einem Technologiefeld bewegen, das von Großunternehmen und institutionalisiertem Anlagekapital dominiert wird, sondern auch in einem Diskurs, der von diesen vorbereitet und besetzt wurde.

Ein Beitrag von Dagobert

Referenzen

  1. T. Wittenhorst, „Bundespolizei speichert Bodycam-Aufnahmen in Amazons AWS-Cloud“, heise online , Mär. 2019, https://www.heise.de/news/Bundespolizei-speichert-Bodycam-Aufnahmen-in-Amazons-AWS-Cloud-4324689.html
  2. deutschlandfunk.de, „’Hier gibt es ein hohes Maß an Sicherheit und Schutz‘ – Sven Herpig im Gespräch mit Sandra Schulz“, Deutschlandradio, Köln, Mär. 2019, https://www.deutschlandfunk.de/polizeidaten-bei-amazon-gespeichert-hier-gibt-es-ein-hohes-100.html
  3. Bundesrechnungshof, Bonn, „Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur“, Bundesrechnungshof, Jan. 2019, https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2019/elektronische-gesundheitskarte-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=1
  4. PricewaterhouseCoopers, Frankfurt am Main und PwC Strategy& (Germany), Düsseldorf, „KRITIS Sektorstudie Gesundheit“, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Bonn, Mai 2016, https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/KRITIS/Themen-Downloads/Gesundheit/sektorstudie-gesundheit.pdf?__blob=publicationFile&v=3
  5. M.C. Koch, „Korruptionsverdacht beim Konnektortausch: Zahnärzte erstatten Anzeige“, heise online, Dez. 2022, https://www.heise.de/news/Korruptionsverdacht-beim-Konnektortausch-Aerzte-erstatten-Anzeige-7396953.html
  6. Aleph Alpha, Heidelberg, „Aleph Alpha hat größtes kommerzielles, europäisches KI-Rechenzentrum gebaut“, Pressemitteilung, Jun. 2022.
  7. R. Knapp, „Communicating Security: Technical Communication, Fire Security, and Fire Engine ‘Experts’ in the Early Modern Period“, Historical Social Research, 2010, 35, pp. 66-85, https://doi.org/10.12759/hsr.35.2010.4.66-85
  8. Für einen schnellen Einstieg empfiehlt sich der entsprechende Eintrag bei de.wikipedia.org: Wikipedia Community, „Feuerwehrfahrzeuge-Kartell“, Wikimedia Foundation, San Francisco, CA, USA, 2023, online: https://de.wikipedia.org/wiki/Feuerwehrfahrzeuge-Kartell, zuletzt abgerufen am 14.12.2023
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